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Freitag 22. September 2023 16:30 Uhr Freiburg i. Br. Hochschule für Musik
23. Jahreskongress der Gesellschaft für Musiktheorie GMTH
Vortrag Von der Kompositionslehre zur Philologie: Die Ablösung von musiktheoretischen durch musikwissenschaftliche Ansätze im 19. Jahrhundert am Beispiel von Beethoven’s Studien
Das von Beethoven bis an sein Lebensende aufbewahrte Konvolut seiner eigenen Satzlehrearbeiten aus den 1790er-Jahren, bei der Nachlassversteigerung 1827 durch den Verleger Tobias Haslinger erworben, in dessen Auftrag durch Ignaz v. Seyfried 1832 herausgegeben, in dieser stark bearbeiteten Edition zwar kommerziell erfolgreich, jedoch – zum Beispiel schon 1852 durch Anton Schindler und dann besonders 1872 durch Gustav Nottebohm – vernichtend kritisiert und schließlich erst 2014 durch Julia Ronge im Rahmen der Gesamtausgabe neu ediert, stellt in seiner Geschichte ein prominentes Studienobjekt dar, an dem einige der Verschiebungen im Detail untersucht werden können, für die Ludwig Holtmeier 2010 den Begriff einer «feindlichen Übernahme» der traditionellen Kompositionslehre durch eine «bürgerliche Harmonielehre» des 19. Jahrhunderts geprägt hat: Im vorliegenden Fall wird ein ursprünglich aus dem Kontext einer vorinstitutionellen handwerklich-professionellen Ausbildung stammendes Dokument zunächst im Zuge der nachträglichen Konstruktion einer spezifisch «Wienerischen» Lehrtradition in der Nachfolge Johann Georg Albrechtsbergers zum modellierbaren Versuchsobjekt, dann schnell zum unveränderlich konservierten Grundstein einer schon längst im Gang befindlichen Denkmal- und Legendenbildung. Schließlich wird es nur noch unter dem Aspekt von in der Musik neuartigen philologischen Methoden betrachtet und damit dem ursprünglichen musikalisch-handwerklichen Zugang entzogen. Die vielleicht interessanteste und dabei bis heute am stärksten missverstandene Position in diesem Zusammenhang scheint bei näherer Betrachtung diejenige des ersten Herausgebers Seyfried zu sein, in dessen editorischer Unternehmung widerstreitende Tendenzen seiner Zeit gebündelt auftreten: Einerseits versteht er sich noch als kompetenter Fortführer der alten Lehrtradition, andererseits trägt er etwa mit den seiner Edition hinzugefügten Anekdoten über Beethoven zur Musealisierung und Kommerzialisierung eines modernen Beethovenbilds bei. Zusätzliches Licht auf Seyfrieds Beschäftigung mit Beethoven werfen seine orchestralen Bearbeitungen von Klavier- und Kammermusikwerken Beethovens im Sinne einer «Instrumentation als Analyse», die in diesem Beitrag als mögliche Alternative zur Akademisierung und «künstlerische Forschung» avant la lettre ebenfalls thematisiert werden soll.


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